Die erste Zeit
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Wenn das Herz bis zum Hals schlägt

Anderthalb Stunden sind vorbei und wir stehen vor den Aufzügen, die uns nach oben zum OP Bereich bringen sollen. Im Spiegelbild des Fahrstuhls kann ich an der Bewegung meines T-Shirts tatsächlich mein Herz schlagen sehen. 

Das ist die zweite OP in seinem kleinen Leben. Und ich weiss jetzt schon, sowas wie Routine oder Gewohnheit, dass werde ich nicht entwickeln. Je länger er bei uns ist, je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, ihn zusammen mit seinen Geschwistern rumalbern sehe, ihn bei mir habe, desto grösser scheint die Angst um ihn zu werden.

In meinem Kopf läuft vor lauter Angst einfach alles durcheinander. Je mehr ich auch nur versuche ruhig zu bleiben, sachlich und vor allem auch realistisch, desto weniger klappt das. Mein Drang, auf alles vorbereitet zu sein, die Kontrolle über jede auch nur erdenkliche Situation zu behalten, lässt mich auch jede mögliche Situation im Kopf vorbereiten. Um mich herum könnte die Welt zusammen brechen, ich bleib stehen, meine eigenen Gefühle sind unter dem abarbeiten der notwendigen nächsten Schritte begraben und erst wenn alles gelaufen ist, die Ruhe einkehrt und wenn alle anderen wieder auf dem Weg in die Normalität sind, da fall ich ( vermutlich) um.

Meine eigene Angst um die Menschen, die ich liebe, ist unfassbar gross. So gross, dass ich lieber neben dem OP-Tisch stehen würde, als draussen vor der Türe zu warten. Ich muss dabei sein, was tuen. Die Hand halten, reden. Alles ist gut, ich bin da, wir machen das zusammen. Ich lass dich nicht allein.

Ich bin ein grosser Angsthase und mutig bin ich nie freiwillig. Mut zu haben, würde bedeuten, dass die Situation für mich unberechenbar wäre. Das ich auf das, was kommt nicht vorbereitet wäre und ich nicht wüsste was zu tuen ist.

Es ist nicht mutig von mir gewesen, wenn ich neben dem Inkubator stand und zugeschaut habe, wenn der kleine Kerl einen Zugang gelegt bekommen hat oder bebeutelt werden musste. Man Adrenalin gespritzt hat. Das war nicht mutig oder taff. Ich brauche die Gewissheit, vollkommen egal wie diese aussieht, die Angst vor dem Ungewissen würde mich vollkommen aus der Bahn werfen.

So wie sie es heute tut. Die Angst ist soviel größer geworden, so übermächtig, dass ich meinen Kopf und meine Gedanken nicht kontrolliert bekomme. Eben auf dem Klinikflur ist der Kleine vor mir her gerannt, ein Spiel was wir öfter spielen zur Zeit, hat sich umgedreht, gewunken und lachend “ tschüss Mama“ gerufen. Ein Tritt in den Magen wäre mir lieber gewesen. Es ist ein unfassbarer Kraftakt, die Kontrolle über mich zu behalten und Niemanden meine Angst spüren zu lassen. Ihn am allerwenigsten.

Eine kleine Routine-OP. Mehr nicht.

Tief einatmen. Ausatmen. Kopfschütteln und mal wieder in der Realität ankommen.

Wir steigen aus dem Aufzug, der uns nach oben zum OP gebracht hat. Der Chirurg kommt aus dem OP und ich sehe den Daddy und mich im Spiegelbild der Scheiben erleichtert lächeln.

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