Es gibt Fragen, die kommen einfach immer wieder. Eine davon, ist die Frage: „Aber das wird er ja alles aufholen können, oder?
Mittlerweile gehen wir raus. Auf Spielplätze, auf Feste, in Parks und an den See. Wir treffen andere Kinder, andere Mütter und ja, auch ich komme mittlerweile mit einigen ins Gespräch während der Kleine mit den anderen Kindern spielt.
Ich bin nicht schüchtern und auch bestimmt nicht auf den Mund gefallen. Aber im Zusammensein mit anderen Müttern tue ich mich immer noch schwer. Der Kleine ist ein sehr offenes und fröhliches Kind, was gerne mit anderen Kindern spielt. Er beobachtet kurz, geht hin und fragt ob er mitspielen darf. Meistens klappt das wunderbar, die Kinder spielen und die Eltern schauen zu, meist entsteht ein recht oberflächliches Gespräch. Smalltalk am Sandkasten.
Je länger die Kinder aber spielen, desto deutlicher sieht man, dass mit dem Kleinen was nicht so 100%ig stimmt. Er ist kleiner und zarter für sein Alter, er läuft tapsiger und unsicherer und ist raus, sobald Treppen und Stufen ins Spiel kommen. Das sehen auch die anderen Mütter, aber wie bitte sollen diese denn jetzt richtig reagieren? Was sagst man denn am Besten? Die Mutigen beginnen mit „Er ist aber ein ganz zartes Kerlchen. Wie alt ist er denn?“ Die meisten aber schauen nur. Die Situation verliert an Unbeschwertheit und bevor es ganz krampfig wird, erzähle ich dass der Kleine ein Frühchen ist und in seiner Entwicklung noch ein wenig hinterher hinkt. Erleichterung macht sich breit.
Alles was danach kommt ist schon ein wenig anstrengender für mich, da ich genau hinschaue und überlege, was kann ich erzählen und wieviel mute ich einer Spielplatzbekanntschaft zu. Aber egal wie ich es drehe und wende, die klassischen Fragen sind dann die Schwangerschaftswoche, Geburtsgewicht und wie lange wir im Krankenhaus waren und das alles ist für eine Mutter nur schwer vorstellbar. Irgendwann dann, mit regelmässiger Sicherheit kommt die Frage, ob er alles Aufholen wird.
Es gibt Fragen, die beantwortet man spontan aus dem Bauch heraus. Und es gibt Fragen, die kommen einfach immer wieder und ich denke immer öfter darüber nach. Wahrscheinlich interpretiere ich auch viel zu viel in diese, eigentlich, harmlose Frage hinein. Aber was soll er denn genau aufholen? Und wann hat er sein Ziel erreicht?
Ist es das Gewicht und die Grösse? – Schauen wir uns doch mal bitte um. Grosse und Kleine und Dicke und Dünne. Alles Kinder im gleichen Alter. Lange Haare, kurze Haare. Was ist hier das Ziel?
Oder geht es um die Motorik? Wann wird er weniger wackelig um die Ecke kommen? Wann wird er kleine Holzkugeln auf eine Schnur fädeln können? Hat er aufgeholt, wenn er alle diese Dinge kann, ein Gymnasium besucht oder sogar studiert? Oder hat er nicht im Grund genommen, dann schon jedes „normale“ Kind längst überholt? Dadurch, dass er weit unter Null gestartet ist?
Meine Antwort auf diese Frage, nach drei Jahren Erfahrung als Frühchenmutter ;-):
Ich weiss es nicht. Ich habe keine Ahnung was aus ihm mal werden wird, wenn er gross ist. Das haben wir doch alle nicht, wir wissen alle nicht, wie sie sich entwicklen werden und wohin die Reise geht. Aber meine Wünsche und Hoffnungen für ihn, weichen in keinster Weise von dem ab, was man sich als Mutter für sein Kind wünscht. Da sind wir doch alle gleich.
Ich weiss es nämlich wirklich nicht. Aber das macht mir keine Angst mehr oder lässt mich von einer Therapie zur nächsten rennen mit ihm. Es ist ist für mein Seelenleben eine grosse Erleichterung gewesen, die Aufholjagd zu beenden. Zu akzeptieren, dass wir jetzt in einem anderen Tempo leben, er sich nicht in dem normalen Schema entwickelt. Er ist ein kleiner Junge, seine Kindheit soll nicht geprägt werden von Ärzten und Therapeuten und Kliniken. Er soll rumrennen, spielen und vor allem dabei lernen. Hinfallen, aufstehen und nochmal versuchen. Er soll sich in seinem Tempo entwickeln können, wir unterstützen ihn mit der Therapie, die dann da ansetzt wo es hackt.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich diejenige bin, die noch einiges aufholen muss 😉
Das ist wunderbar geschrieben. Als Oma eines Frühchens weiß ich, dass diese Kinder einfach nur ein Wunder sind. Ich bin unendlich froh und dankbar, dass es dieses Kind gibt. Und als er mir vorgestern sagte: Oma, du bist mein Superheld! habe ich geweint vor Glück. Das ist es, was zählt.
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Ja, genau diese Momente zählen! Und Grosseltern zu haben! Mir tut es manchmal schon leid, dass der Kleine hier seinen Opa nicht mehr kennenlernen konnte. Geniesst die Zeit und liebe Grüsse!
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Hallo Jutta,
das hast du so schön beschrieben. Vielen Dank für deinen Block.
Bei uns fällt das anders sein schon mit dem Betreten des Spielplatzes auf. Da traut sich schon keiner mehr mit uns zu sprechen. Mein Sohn ist auch ein extremes Frühchen, er ist etwas älter, als deiner. Ob er aufholt, weiß ich immer noch nicht.
Doch wir rennen zu Therapeuten, damit er einmal ohne große sprachlicher und mit viel Glück auch mit nur kleinen motorische Barrieren am Leben im öffentlichen Raum teilhaben kann. Das wäre schön.
LG
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Ich glaube, man weiss einfach nicht wie man ansprechen könnte/ sollte und darf man das überhaupt? Was sagt man? Wir sollten vielleicht einen kleinen Knigge rausbringen 😉 –
Und, auch wenn es so klingt in dem Artikel, als wenn wir einfach gar nichts mehr machen, so ist es nicht! Wir hatten bisher 2 Therapeuten mit im Boot, einen wunderbaren Kinderarzt und ab September startet die 3. Therapeutin ihre Arbeit bei uns. Aber es gibt so kleine „Regeln“ hier. Eine davon ist: Keine Therapie hier zuhause. Hier ist Zuhause und hier zieht und zerrt niemand. – Und ich orientiere mich nicht an den normalen Entwicklungsschritten eines Kindes mehr. Die sind bei uns alle durcheinander irgendwie. Wenn ich sehe, dass er Feinmotorisch gerade anfängt Interesse zu zeigen, dann wird dass bei unserer Therapeutin sofort umgesetzt – egal ob jetzt Treppensteigen auf dem Plan steht. Wenn er jetzt lieber puzzelt, dann lernen wir puzzeln. Weisst du was ich meine?
PS: Also ich würd ich sofort ansprechen und Fragen, ob du auch Frühchenmama bist und dann hol ich uns ein Eis. 😉
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Was für ein wundervoller Blick auf Deinen tollen Sohn. Wirklich. Und ich finde, das sollten wir einfach bei allen Kindern denken, – auch bei denen, die kein Frühchen sind.
Liebste Grüße!
Katja
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Ja absolut! Lieben Dank für deinen Kommentar und alles Gute!
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