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am arsch.

“ Ich darf für Biene von closerthanyesterday einen Gastbeitrag für Ihren Blog schreiben, ist das nicht cool!?“ Karnevalssonntag. Auf dem Weg zum ersten Karnevalszug mit unserem Jüngsten. Der Daddy neben mir, unser kleiner Sohn im Wagen vor mir und ich mit Handy in der Hand, mal schnell lesen was so los ist bei den Anderen. „Da gehts öfter auch mal um SlowLiving und achtsamer-durch-den-Alltag gehen.“
„Und da fragt die ausgerechnet dich?“, ich schaue vom Handy zum Daddy.
„Du und SlowLiving und achtsamer durchs Leben gehen? Am Arsch.“
Huch

Nein, ich gehe nicht achtsam durch den Alltag und Slow schon gar nicht. Und gerade in solchen Momenten, auf dem Weg zum ersten, bewussten Karnevalszug seines kleinen Lebens, halte ich das Handy in der Hand und bin nicht 100% da wo ich sein sollte.
Und in dem Moment schäme ich mich. Ich hasse mich dafür, dass ich mich immer wieder stressen lasse, mir zufiel auf einmal vornehme, mich dann total verzettel und nur noch gereizt bin. Ich kann nicht Alles und Allem gleichzeitig und zu 100% gerecht werden.

Unser jüngster Sohn kam Anfang 2015 als Frühchen zur Welt. Nach nur 23 Schwangerschaftswochen musste er geholt werden. Und ich mache mir heute noch Vorwürfe. War das meine Schuld? Warum konnte ich mich nicht ausruhen und entspannen, als ich das sollte? Warum musste ich den Haushalt mit 4 Kindern und einen Laden schmeissen und ständig durch die Gegend hetzen? Warum konnte ich nicht einfach mal runterfahren, den Blick auf das Wesentliche und das, in dem Moment, Wichtigste richten? Dem Baby in meinem Bauch? Hätte es ihm den viel zu frühen Start ins Leben erspart?

Die Frühgeburt hat mich in meinem Alltag komplett ausgebremst. Von Volldampf runter auf Null. Von Haushalt, Familie und Laden runter auf „sitzen und halten“. Und aushalten. Die Angst, die Ungewissheit und den Kontrollverlust. Es lag alles in seinen kleinen Händen. Sein Leben, mein Leben, unser Leben. Medizin und Technik kann nur unterstützen, wir konnten nur unterstützen und helfen. Alles andere lag nicht in meiner Macht. Ich musste runterfahren. Slow down. Gott sei Dank.

Ich habe jede einzelne Minute, Stunde und jeden einzelnen Tag, in dem ich am Inkubator gesessen habe, meine Hand auf seinem kleinen Körper liegend, bewusst erlebt. Ich wollte nicht eine einzige Minute seines Lebens verpassen. Keine Zeit verschwenden.
Es wurden 154 Tage.

Zwei Jahre später und ich bin fast wieder die Alte. Ich verschwende Zeit an Dinge, die das überhaupt nicht zu schätzen wissen. Dinge, die überhaupt keine Zeit von mir brauchen, denn sie sind morgen auch noch da, an genau der gleichen Stelle. Die Bügelwäsche zum Beispiel. Die liegt in einer Stunde auch noch da. Eigentlich müsste ich jetzt bügeln, jetzt wo mein klitzekleiner Sohn schläft. In meinem Arm eingeschlafen. Wie sehr habe ich mir das gewünscht damals, Anfang 2015. Was habe ich mir nicht alles vorgenommen… besser zu  machen. Achtsamer zu sein. Mit mir und vor allem mit den Menschen, die ich liebe. Meiner Familie, meinen Eltern… Zeit nehmen für die wirklich wichtigen Dinge. Und doch, bin ich im Laufe der Zeit wieder zurück in das alte Muster gefallen.

Natürlich müssen Sachen erledigt werden, Termine eingehalten werden. Und die Wäsche muss auch irgendwann gewaschen und gebügelt werden und nein, ich habe nicht immer Zeit um stundenlang den Ameisen zuzuschauen oder den Kleinen wirklich durch jede Pfütze springen zu lassen. Aber ich habe Zeit, ihm Zeit zu geben, die Welt zu entdecken. Zu lernen und sich auszuprobieren. Und vor allem, um dabei zu sein! Ich darf das alles erleben, mit ihm. Ich darf dabei sein, bei den ganzen ersten Male die er erlebt. Die wir erleben.

Wir drei. Das erste Mal Karneval. Nur wir drei und alle Zeit der Welt. Und die Bügelwäsche? Und der fast leere Kühlschrank? Jetzt gerade? Am Arsch.

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