Storie
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24 Wochen.

Im Kino läuft jetzt der Film 24 Wochen. Ich hab den Trailer gesehen. Und mich erinnert. An meine Schwangerschaft, an meine 24 Wochen.

Genau 23 Wochen war ich schwanger. Am ersten Tag der 24. Woche wurde mein Baby durch einen Kaiserschnitt zur Welt geholt. Unterversorgt, kleiner und leichter als ein Pfund Butter.

Wir haben uns unglaublich gefreut. Gefreut nochmal ein Baby zu bekommen. Ungeplant, einfach so nochmal von vorne anfangen. Wir alle sechs. Die grossen Kinder waren auch vollkommen aus dem Häuschen, haben sofort nach Namen für das Baby gesucht und Pläne geschmiedet…wo wird es schlafen und welchen Kinderwagen wollen wir… Die Vorfreude allerdings blieb nicht lange.
Schon beim ersten Arztbesuch war alles nicht wie es sein sollte, ab dem zweiten Besuch wurde am Entbindungstermin korrigiert, nach dem dritten Besuch sollte ich zur Feindiagnostik.

Wir erhielten den Befund „Spina Bifida“ – offener Rücken. Und das es ein Junge ist. Es war ein Tag vor Nikolaus an dem wir den anderen Kindern sagen mussten, dass ihr kleiner Bruder nicht gesund zur Welt kommen wird.
Während mein Bauch dicker wurde, und jeder sehen konnte dass wir noch ein Baby bekommen, wurden die Diagnosen immer mehr.  Über den offenen Rücken und seine Folgen waren wir aufgeklärt und haben uns informiert. Wir haben es den Kindern versucht zu erklären. So, als wäre es das Normalste auf der Welt und alles easy machbar. Passiert halt. Eine Laune der Natur.  Die Kinder haben ausgesprochen was sie gefühlt haben, sie waren enttäuscht, fanden es teilweise ekelig und machte sich Sorgen.  Wir alle haben uns das einfach alles anders vorgestellt.
Während bei meinen früheren Schwangerschaften jede Ultraschalluntersuchung für mich ein Fest war, war es diesmal jedesmal für mich ein Albtraum. Der abgedunkelte Raum, dieser riesige Bildschirm an der Wand, die Geräusche bei jeder Messung und das schwere Ausatmen des Arztes bevor er nach 30 Minuten wortlosem Ultraschall, sagt “ Das sieht nicht gut aus“.

„Das Baby ist für die Schwangerschaftswoche viel zu klein. Die Entwicklung hat so gut wie aufgehört. Ich verstehe mich auch ein bisschen als Anwalt der Kinder, wenn dieses Kind zur Welt kommt, dann kann es unter Umständen weder sehen, noch hören. Es wird viele Behinderungen haben, ein Pflegefall sein. Das alles ist in den meisten Fällen einfach so. Kinder, die in einem so frühem Stadium der Schwangerschaft so wachstumsretardiert sind, haben keine Chance.“

„Welche Möglichkeiten gibt es?“

„Es besteht die Möglichkeit dass das Kind im Mutterleib in den nächsten Wochen oder Tagen sterben wird, oder das die Wehen einsetzten. Das Kind wird die Geburt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Um das zu vermeiden kann man mit einer Kaliumchloridspritze…

Ich sitze alleine in einer Ecke des abgedunkelten Zimmers und sehe an der Wand die Aufnahmen meines Babys, welches munter mit Armen und Beinen zappelt. Das Bild was ich da sehe, dass passt nicht zu dem was er mir erzählt.

„Was ist mit dem offenen Rücken, der Spina Bifida?“

„Das hat sich nicht bestätigt.“

Ich fasse es nicht. 6 Wochen lang habe ich mit der Angst um mein Baby gelebt, die Angst dass er beim nächsten Ultraschall die Beine nicht mehr bewegt, dass er Wasser im Kopf hat, dass er sofort nach der Entbindung eine OP braucht um die offene Stelle zu verschliessen, dass ein Shunt gelegt werden muss. Ich habe mich informiert, Kliniken rausgesucht. Wir haben überlegt ob wir das wollen, ein behindertes Kind. Ob wir das schaffen. Wir haben uns gestritten auf Teufel komm raus, wir  haben nach Lösungen gesucht und waren am Boden zerstört und nach 6 Wochen sagt man mir einfach so: Das hat sich nicht bestätigt?! Und das wir uns jetzt überlegen sollen, wie es mit dem viel zu kleinen Baby weitergehen soll?! Nochmal von vorne überlegen und nach einem Weg suchen?

„Ich denke es wäre gut wenn sie sich an die Uniklinik wenden und dort eine Termin machen. Ich rufe da noch heute an, wenn sie möchten.“

Möchte ich. Eine halbe Stunde später sitze ich beim Daddy im Auto und wir stehen am Strassenrand und uns laufen einfach nur die Tränen runter. Wir haben keine Kraft mehr, ich will das es vorbei ist. Ich will das diese furchtbaren Wochen vorbei gehen. Zuhause ist ein Paket angekommen, die ersten Babysachen sind da.

Am nächsten Morgen ruft mich die Uniklinik an, ich kann sofort vorbei kommen. Es gibt wieder Ultraschall, das Ergebnis kenn ich ja schon. Ob ich mal mit den Kinderärzten reden möchte? Möchte ich. Wir reden und ich fühle mich das aller erste Mal in der ganzen Schwangerschaft sicher und gut aufgehoben, und ich werde gefragt was ich möchte.
In dem Moment wusste ich es.

„Ich möchte ihn gerne kennenlernen. Ich kann mein Kind nicht umbringen oder darüber entscheiden ob es Leben darf, ich kann ihm nur eine Chance geben zu Leben. Was dann kommt, das liegt nicht in meiner Hand.“

“ Also Maximalversorgung? So heisst das dann.“

„Ja. Aber was ist, wenn ich merke, es ist zuviel, er schafft es nicht, es reicht und er soll friedlich gehen dürfen?“

„Dann wird das auch so sein. Sie sind die Mutter“

Drei Tage später wurde er als damals kleinster und leichtester Kölner Bürger auf die Welt geholt. In der 24. Woche.

Ich war gerne schwanger.

4 Kommentare

  1. Lydia sagt

    Wir stehen gerade in der gleichen Situation. Seit Wochen hören wir Nutzer ist zu klein und wird die nächsten Tage nicht überleben. Doch er kämpft. Hoffe wir kommen bis 24+1. Noch 5 Tage hoffen und bangen. Wir wollen auch eine Chance für ihn, wenn sie auch klitzeklein ist. Die Gynäkologen haben ihn schon seit Wochen aufgegeben. Danke für deinen Blog, da fühlt man sich nicht so alleine.

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