„Vielleicht ist es ein Tumor auf der Leber und die Leukozyten im Urin ein Tumormarker?!“ Freitag Abend und der Daddy und ich sind noch schnell beim Supermarkt an der Ecke. Kurz nach dem Kopfsalat und rechts von den Äpfeln kann ich selber nicht glauben, was ich da gerade laut gesagt habe.
Er dreht sich um und wir schauen uns an. Du spinnst ja vollkommen sagt sein Blick und er hat absolut recht damit. Ich weiss selber nicht so ganz, wie es so weit kommen konnte. Aber offensichtlich habe ich den Bezug zur Realität verloren. Die Realität sind zwei, drei Zähne und bisschen Durchfall.
Als ich das erste Mal Mutter wurde, da war ich gerade 24 Jahre alt. In meinem Freundeskreis gab es keine weiteren Babys. Kontakt hatten wir zur einer kleinen Familie im Haus, deren Tochter kam eine Woche nach meinem Sohn zur Welt. Ich wusste, dass Babys mit 3-4 Monaten anfangen nach Dingen zu greifen, so ca mit 6-8 Monaten alleine sitzen können und so ab einem Jahr anfangen zu laufen. Ich hatte genau zwei Bücher: Köln mit Baby und ein Kochbuch für Babys. Im letzten fanden sich auch einige Tipps gegen Durchfall zum Beispiel. Mehr hatte ich nicht. Das war alles. Kein Smartphone, kein pausenloser online Ratgeber, kein Google. Kein Vergleichen mit anderen Babys oder Kleinkindern. Ich hab mich gefreut als er greifen konnte, weiss noch wir er alleine, umgeben von Sofakissen, auf dem Boden sass und das er nie gekrabbelt ist. Wie alt er jeweils dabei war? Ich hab keine Ahnung! Ob er früh oder spät dran war, weiss ich nicht. Aber heute hat er Abitur.
Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wann sich ein Baby wie genau zu entwickeln hat, dass man ohne sich zu drehen nie krabbeln wird und so weiter. Dafür hatte ich damals etwas, was mir offenbar heute vollkommen abhanden gekommen ist. Mutterinstinkt. Vertrauen. Gelassenheit. Und darauf habe ich mich verlassen und wir sind all die Jahre damit wunderbar klar gekommen. Ich habe gespürt wenn die Kinder wirklich krank waren oder wenn sie etwas bedrückt. Ich hab mir lange nicht so viele unnötige Sorgen und Gedanken gemacht, wie ich es heute mache.
Der Verlust kam schleichend. Als man mir den klitzekleinen Jungen nach der Geburt auf die Brust legte, unter viel Folie, und er spontan Stuhl abgesetzt hat, war die Freude beim Ärzteteam gross. „Kindspech, Das bringt doch Glück! Ist nicht schlimm, ich wische das gleich weg, das macht gar nichts.“, war mein Kommentar. Unwissend, dass so unglaublich viele Frühchen schon ganz früh operiert werden müssen, gerade weil der Darm noch so unreif ist.
Rückblickend haben wir so naiv und unwissend diese Reise mit dem Frühchen begonnen, ich muss heut noch ab und an lächeln wenn ich daran denke. Das mir so viel Wissen diesbezüglich einfach fehlte, dass ich meine Kraft nicht an Dinge verschwendet habe, die eventuell sein könnten, sondern den Moment so genommen habe wie er gerade war, ich glaube das hat mich nicht durchdrehen lassen.
Und da möchte ich wieder hin. Denn im Moment drehe ich gerade ein bisschen durch. Wir sind wunderbar über den Winter gekommen, mit Erkältungen und Husten. Jetzt gab es 2x einen Harnwegsinfekt, mit hoch Fieber und allem was dazu gehört. Auch keine grosse Katastrophe. Die eigentliche Katastrophe ist ja, dass ich da jetzt nicht einfach einen Haken dran mache, sondern dass ich vollkommen irrational immer direkt vom Schlimmsten ausgehe jetzt! Ich klebe bei bisschen erhöhter Temperatur einen Pipibeutel weil ich vermute dass eine Nierenbeckenentzündung die Ursache ist. Plane im Kopf schon die Betreuung der Geschwisterkinder und überlege, wann der BoFrost Mann kommt, damit genug zu essen da ist wenn ich in der Klinik bin.
„Hier. Trinkst mal ein Glas zuhause. Und dann schaust dir dein Baby mal genau an. Vielleicht ist es besser, wenn du das mal nicht nüchtern machst“, der Daddy legt den Weisswein in den Korb, wir gehen zur Kasse. Der Kleine sitzt vergnügt im Wagen, knabbert an seinem Spielzeug und lacht.
PS: 37,5 Grad Körpertemperatur. Bisschen Durchfall. Allgemeinzustand top. Bisschen angeschlagen. Hände im Mund. Backenzahn oben ist durch. Leukozyten im Urin leicht erhöht. Könnt mir bitte jemand die Beutel und Teststreifen wegnehmen?
Hallo Jutta!
Habe gerade erst angefangen deinen Blog zu lesen. Mein Großer wurde bei 25+0 geboren, der Kleine bei 29+2. Du hast so recht mit der Naivität – problemlose Schwangerschaft, nicht ein einziger Gedanke an eine Frühgeburt, ups, Notsectio, ups, Intensivstation. Die eigene Unwissenheit im Rückblick ist für mich auch oft unglaublich, aber sie hat mich ebenso vor viel Angst und Panik bewahrt. Großzwerg hatte mit 3 Wochen einen Infekt mit Atemversagen, das waren zwar etwas schlimmere Tage aber weit nicht so schlimm wie ich es mit meinem heutigen Wissen empfinden würde. Damals (Jänner 2014) war es nur ein kleiner Ausreißer im gesamten Ausnahmezustand.
Ich muss sagen, dadurch dass wir mit beiden Frühchen gewaltiges Glück hatten was die gesundheitliche Entwicklung betrifft, bin ich jetzt schon wieder gelassener geworden. Ich wünsche es dir auch! Und auch sonst alles Gute für euch.
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