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Das Leid der anderen.

Den Beitrag habe ich in den letzten Monaten mehrmals angefangen, Passagen gelöscht, alles komplett verworfen und dann doch wieder angefangen. Weil es mich dann doch immer wieder beschäftigt und gerade in den letzten Tagen doch wieder eingeholt hat:

„Denk nicht soviel darüber nach, das ist das Leid der anderen. Du hast dein eigenes Päckchen zu tragen“

Das gerade die ganz kleinen Frühchen keine großen Überlebenschancen haben, das wusste ich schon bevor man Klitzeklein auf die Welt geholt hat. Dafür ist die Chance, dass es im Verlauf der ersten Tage und Wochen zu großen Problemen kommt umso höher. Ich weiß noch wie ich ein paar Tage vor dem Kaiserschnitt zu meinem Mann gesagt habe, dass es keinen kleinen Jungen gibt mit dem Geburtsgewicht, der überlebte hat. Seine Antwort war damals: „dann ist unserer halt der Erste“. Welch unglaubliches Glück wir bisher, trotz aller kleinen Rückschritte, hatten, ist für mich heute noch unfassbar.

Auf Grund der räumlichen Gegebenheiten momentan in der Klinik, ist man sich ohne auch nur jemals ein Wort miteinander gewechselt zu haben, als Eltern auf eine ganz komische Art und Weise nah. Man sitzt im selben Boot, wir alle in einem großen Raum zusammen und doch jeder für sich alleine auf seinem Platz. Um die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten, gibt es keine Besuche untereinander. Es gibt Kinder deren Schicksal ich vom ersten Tag an miterlebt habe, ohne sie jemals wirklich gesehen zu haben, mit deren Eltern ich erst nach vielen Monaten überhaupt mal geredet habe. Wenn überhaupt. Mitgelitten habe ich immer.

Man spürt das irgendwie schon wenn man auf die Station kommt. Es liegt in der Luft. Ruhe und Anspannung. Sofort hat man den Kloß im Hals. Ärzte die hochkonzentriert am Inkubator stehen. Jede Schwester ist irgendwie auch in Alarmbereitschaft und mit nem halben Bein beim Notfall. Während wir sonst wirklich auch viel lachen, ist heute keinem danach.

Ich versorge meinen Sohn und nehme ihn auf den Arm. Wie oft hat er diese Stimmung schon erlebt, ohne mich. Wir sitzen in unserer Ecke und ich halte ihn einfach fest. Stunden gehen dahin, man will nicht zum Notfall schauen und tut es doch. Immer wieder sind die Ärzte beim Kind. Wir drehen unseren Stuhl um und schauen in die andere Richtung, ich halte den Kleinen immer noch fest im Arm. Es gibt keinen Alarm. Bei keinem anderen Kind. Es ist ganz leise auf der Station. Irgendjemand hat die Eltern geholt, ein Sichtschutz wird aufgebaut, mein Kloß, die Bedrückung die man fühlt ist riesig. Ich mache mich ganz klein und igele mich mit meinem Sohn im Arm ein.

Der Begriff Totenstille, hier kann man sie spüren. Nichts piepst. Nichts bimmelt, niemand ruft an. Minutenlang. Es ist als wenn alle Frühchen plötzlich „anhalten“ und den kleinen Kollegen gehen lassen. Man sitzt da und weiß es. Ohne hinzuschauen. Die Schwester wird den Monitor ausstellen und die Eltern werden trauern und ich /wir stehen hilflos auf unserem Platz. Man ist so voller Mitgefühl und Traurigkeit, fühlt so mit den Eltern, mit denen man nie geredet hat. Und ist so dankbar für jede Minute die man mit seinem Kind verbringen darf.

Ich kann nicht genau sagen wie lange, aber dann kommt das Leben langsam zurück auf die Station. Ganz leise.

Hab ich gestern noch gejammert, dass es nicht voran geht? Scheiß egal. Wir könnten noch monatelang so verbleiben, Hauptsache ich darf ihn im Arm halten. Wir haben schon soviel geschafft und hinter uns gelassen. Das dass alles so weiter geht, das ist nicht selbstverständlich. Selbst wenn man die Intensivstation verlassen hat und eigentlich mit dem Umzug auf die Frühchenstation schon mit einem Bein zuhause ist. Das musste ich gestern erfahren und ich kann es selber heute noch nicht glauben.

Während ich hier schreibe, liegt einer der kleinen Kollegen, einer der die längste Zeit schon mit uns hier ist, dessen Schicksal ich vom ersten Tag an miterlebt habe, wieder auf der Intensivststion. Selbst sein Start, seine OP und die Zeit danach waren nicht so schlimm wie sein Zustand jetzt. Er lag uns auf der Intensivstation gegenüber, der erste kleine Kerl, der kleiner war als mein Sohn mit 8 Wochen. Ich seh noch seine Eltern alleine auf dem Platz sitzen während die Schwestern den Inkubator zur OP wegfahren. Wir haben ihm alle Daumen gedrückt und uns über jedes Gramm gefreut. Er lag neben uns auf der Frühchenstation, er trägt unsere kleinen Bodys und er war doch auch auf dem Weg nach Hause…  Das jetzt ist kein Rückschritt, das ist wie zurück auf Start. Nach Monaten.

Ich war ihn gestern besuchen. Das erste mal das ich ihn wirklich gesehen habe. Spontan hab ich gedacht, dass würde ich nie schaffen, nochmal alles. Jetzt wo ich weiß wie lang der Weg ist. Aber man schafft das, weil es steht gar nichts anderes zur Wahl.  Und nein, es ist nicht mein Problem, ich habe ein eigenes Päckchen zu tragen, aber der Mutter hätte ich gestern gern ein bisschen Tragen geholfen.

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1 Kommentar

  1. Hat dies auf Einer schreit immer rebloggt und kommentierte:
    Wie fühlt es sich an ein Frühchen zu haben? Und wie ist der Alltag auf einer Intensivstation für Frühgeborene? Autorin „J.“ beschreibt das in ihrem Blog „Mein Kleinster“ in einem unglaublich berührenden Text, der jeder Frühchen-Mami die Tränen in die Augen treiben wird…

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